Taktik-Nachlese zum Spiel FCS-FCK

Taktikanalyse: Saibenes Matchplan geht auf - fast

Taktikanalyse: Saibenes Matchplan geht auf - fast

Foto: Eibner-Pressefoto/Alexander Neis

1:1 im Lokalderby. Wie wollen wir es werten? Negativ, wegen des ärgerlichen späten Ausgleichs? Oder doch wohlwollend, weil es einen Punkt beim Tabellenführer bedeutet - und eigentlich ja auch "gerecht" war? Schau'n mer mal.

Sehen wir einfach mal davon ab, uns für eine Gemütslage entscheiden zu müssen. Und sagen: Jeff Saibenes Matchplan wäre ums Haar aufgegangen. Weil er sich konsequent an der nüchternen, für viele bitteren Realität orientierte und erst gar nicht versuchte, den Gelüsten derer gerecht zu werden, die einen Lokalrivalen in einer Art offener Feldschlacht besiegt sehen wollen, gegebenenfalls sogar anführen, der Gegner sei zwar zufällig gerade mal Tabellenführer, aber halt doch nur ein "Aufsteiger".

Nur mal so zum Drüber-Nachdenken: "Aufsteiger" in die 3. Liga behaupten sich schon seit Jahren fast immer gut - was auch zutrifft, wenn man den Sonderfall Bayern München II außer acht lässt. Die wenigsten steigen direkt wieder ab. Vergangene Saison hielten sich am Ende drei von vier in der Klasse, in der Spielzeit davor drei von drei, aktuell stehen drei von vier in der oberen Tabellenhälfte. Andererseits ist seit 2016 keinem Zweitliga-Absteiger mehr der direkte Wiederaufstieg geglückt, und auch in den Jahren davor gelang dies in der seit 2008 bestehenden 3. Liga lediglich drei Klubs.

Was Aufsteiger so stark macht: Das Musterbeispiel FCS

Warum das so ist? Wir behaupten wir mal: Aufsteiger kommen meist mit geringen Budgets, dafür mit eingespielten Einheiten, Absteiger sind finanziell in der Regel zwar besser ausgestattet, müssen aber erst gewaltige personelle Umbrüche vollziehen. Geschlossenheit schlägt Budget. Eine zu steile These?

Bei diesem Nachbarschaftsduell jedenfalls deutet einiges darauf hin. Auf der einen Seite Aufsteiger Saarbrücken, in dessen Startelf mit Nicklas Shipnoski und Marin Sverko nur zwei Neuzugänge stehen. Hatte durch den Corona-bedingten Abbruch der Regionalliga-Spielzeit jede Menge Zeit für Regeneration und Aufbautraining, gewann als Neuling von den ersten fünf Saisonspielen vier. Das soll Zufall sein?

Die Vorzeichen beim FCK: Ganz anders und gar nicht gut

Auf der anderen Seite der FCK, auch im dritten Jahr 3. Liga immer noch mit einem Kader unterwegs, der mit einem Top-Sechs-Etat zusammengestellt ist. Sechs Neuzugänge in der Startelf, die jedoch mehrheitlich keine komplette Vorbereitung absolvierten, teils verletzungsbedingt, teils, weil sie erst spät zum Kader stießen. Dem Rest ist nach den Geisterspielwochen, die die vergangene Saison beschlossen, vor dem Neustart des Trainingsbetriebs nur eine kurze Regenerationspause vergönnt gewesen.

Zudem fallen seit Saisonbeginn immer wieder Spieler wegen Verletzungen aus, so dass sich bislang kaum zu einer geschlossenen Einheit finden ließ. Noch am Spieltag musste der gerade wieder genesene Carlo Sickinger doch wieder passen. Er war für die rechte Außenverteidigerposition vorgesehen, nachdem mit Philipp Hercher und Dominik Schad beide Stammbesetzungen verletzt sind.

Saibene muss der bitteren Realität Rechnung tragen

27 Jahre lang sind sich die Lokalrivalen nicht mehr als Liganachbarn begegnet, und auch in den wenigen gemeinsamen Bundesligazeiten stand der FCK immer vor dem FCS. Doch die Realität nach dem ersten Saisondrittel 2019/2020 lautet nun einmal: Kellerkind Lautern gegen ein Saarbrücken, das völlig zurecht von der Tabellenspitze grüßt.

FCK-Trainer Jeff Saibene trägt den Gegebenheiten Rechnung, indem er seiner Elf eine sehr abwartende Spielweise verordnet. Was zunächst noch nicht einmal aufzugehen scheint. Der FCS zeigt das Spiel, das Lautern-Fans von ihrer Mannschaft gerne mal sehen würden. Attackiert früh, aber so geordnet, dass selbst nach Ballgewinn und Befreiungsschlag des Gastes das Leder direkt wieder bei den Schwarzblauen landet. Die ersten 20, 25 Minuten übersteht der FCK nur mit viel Glück und Avdo Spahic.

Kommt Zeit, kommt Stabilität: Symbolfigur Hainault

Dann aber schaffen sich die Roten Teufel nach und nach in die Partie. Der Defensivverbund steht besser, es gelingen, meist eingeleitet von Hikmet Ciftci, einige vielversprechende Umschaltaktionen. Eine im Zusammenspiel mit Ciftci entstandene Einschussposition für Daniel Hanslik ist wesentlich besser, als der anschließende Abschluss es erahnen lässt.

Zur Symbolfigur des Lautrer Spiel avanciert allerdings André Hainault. Kurzfristig für Sickinger als Rechtsverteidiger in die Startelf gerückt, eine Position, die er beim FCK noch nie gespielt hat und für die er kaum geeignet scheint: Nie der Schnellste gewesen, ist er es mit 34 Jahren erst recht nicht mehr, und von der Baugruppe her und sowieso ist er Innenverteidiger. Aber: Irgendwie kriegt er es dann doch ganz ordentlich hin. Wie auch sein Team mit zunehmender Spieldauer.

Wie schön: Ein "Standard" führt zum Führungstreffer

Dass der Trainer später bei "SWR Sport" berichtet, es sei sogar Teil des Matchplans gewesen, nach Möglichkeit durch eine Standardsituation in Führung zu gehen, passt ebenfalls ins Bild. Dass seine Jungs die flinken Saarbrücker aus dem Spiel heraus übertölpeln könnten, mochte wohl selbst ihr Coach ihnen nicht unbedingt zutrauen. Und die Rechnung geht sogar auf.

Der "Standard", der den Führungstreffer einleitet, ist aber keine Ecke, auch kein Freistoß, sondern, man höre und staune, ein Einwurf: Es lohnt sich also, der häufigsten Standardsituation im Fußball mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Ciftci schleudert den Ball etwa auf Höhe des kurzen Pfostens, als wäre er beim heutigen FCK-Praktikanten Florian Dick in die Lehre gegangen. Allerdings verlängert kein Mitspieler, sondern FCS-Sechser Manuel Zeitz. Kenny Redondo pflückt den Ball mit dem Kopf ab. Drin.

Zeitz' Handspiel: To pipe or not to pipe

Danach sieht es so aus, als kippe die Partie zugunsten der Roten Teufel. Der FCS droht den Faden zu verlieren, dem FCK glücken sogar Ballgewinne weit vorne, was das Leder vom Tor weghält. Eine umstrittene Strafraumszene könnte vielleicht die Vorentscheidung bringen können: Zeitz springt der Ball vom Knie an den Arm. Elfmeter?

Ohne Vereinsbrille und mit dem gesunden Menschenverstand betrachtet: eigentlich nicht. Andererseits: Es sind gerade in dieser Liga schon blödsinnigere Elfer gepfiffen worden. Kompromiss: Werten wir es als Ausgleich für die merkwürdige Entscheidung auf "Stürmerfoul" aus dem Lübeck-Spiel, wo es gut und gerne auch Elfer gegen den FCK hätte geben können.

Spahics Platzverweis: Der eigentliche Fehler war der Abstoß

Der nächste Aufreger: Die Rote Karte gegen Spahic. Geht als Schiedsrichterentscheidung in Ordnung, sofern das Handspiel des Keepers wirklich außerhalb des Strafraums war, was jedoch zweifelhaft ist und auch die TV-Kameras nicht auflösen können. Schade für den Keeper, nach seiner starken Leistung bis dato hätte er in diesem Spiel erstmals in dieser Saison zum Matchwinner werden können. Ob ihm ein Vorwurf zu machen ist?

Wie beim wiederholten Anschauen zu erkennen ist, wollte er den Ball eigentlich mit dem Kopf erwischen. Irgendwie aber muss das Leder anders aufgesprungen sein, als er es vorausberechnet hatte. Und dass er beim Herauslaufen nicht auch noch die 16-Meter-Linie konzentriert im Blick behalten kann, ist verständlich.

Statt an dieser Szene lange herumzuanalysieren, sollten Spahic und Tortwarttrainer Sven Höh sich noch einmal eingehend dem schwachen Abstoß widmen, der an der Mittellinie auf dem Kopf eines FCS-Spielers landet und die Situation überhaupt erst einleitet. Das sind die Fehler, die es abzustellen geht.

Elf gegen Zehn: Saarbrücken drückt - und hat Erfolg

Das Spiel Elf gegen Zehn bringt anschließend den FCS wieder an den Drücker - und gibt Spahic-Ersatz Matheo Raab direkt Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Und Selbstvertrauen zu tanken für die nächste(n) Partie(n), wenn er von Beginn an ran muss.

Leider haben uns auch für diese Partie noch keine xG-Grafiken erreicht, aber wir dürfen davon ausgehen: In der Aufrechnung der qualitativ bewerteten Torchancen hat sich der FCS diesen Ausgleich dicke verdient.

Auch wenn so ein Gegentreffer kurz vor Schluss natürlich ärgert. Den Treffer besorgt übrigens der Ex-Lautrer Maurice Deville per Kopfball. Unmittelbar bei ihm stand Janik Bachmann, der in seinen nunmehr dritten Partie als neu entdeckter Innenverteidiger ansonsten erneut überzeugte. Diese mitentscheidende Szene zeigt allerdings: Bachmann ist trotz seiner 1,95 Meter kein echtes Kopfballmonster, sonst hätte er den Schädel vor Deville am Ball gehabt.

Gut gemeistert hatte Bachmann jedoch ein nicht unterschätzendes Handicap: Schon nach vier Minuten hatte er Gelb gesehen, als er in höchster Not den FCS-Mittelfeldspieler Tobias Jänicke stoppte, der gerade mittig in den Strafraum eindringen drohte.

Jetzt gegen Duisburg: Ein Spiel mit komplett anderen Vorzeichen

Unterm Strich stimmt also beides: Das Remis ist ärgerlich, aber halt auch gerecht. Es hat aber auch gezeigt: Der FCK muss weiter daran arbeiten, die Einheit zu werden, die der FCS bereits dargestellt.

Dieses Lokalderby könnte ihn ein gutes Stück weiter gebracht haben, gerade weil sich Mannschaft nach fahrigem Beginn mit Vehemenz in die Partie einarbeitete. Allerdings werden sich die Vorzeichen in den nächsten Samstag erneut ändern. Mit dem MSV Duisburg kommt der aktuelle Tabellenvorletzte nach Kaiserslautern, bei dem zurzeit gar nichts zusammenläuft. Da wird der FCK nicht umhin kommen, die Initiative zu ergreifen.

Ergänzung, 02.12.2020: Die xG-Grafiken zum Derby in Saarbrücken

Mit etwas Verspätung hier Sander Ijtsmas Visualisierungen vom Spiel. Die Aufrechnung der qualitativ bewerteten Torchancen fällt sogar noch deutlicher aus, als wir es befürchtet haben: Nach "expected Goals (xG’s)" gewinnt der 1. FC Saarbrücken 1.88 : 0.54, das ist heftig. Den großen Sprung nach oben verursacht beim FCS übrigens die Doppelchance von Sebastian Jacob und Kianz Froese, gegen die Spahic gleich zwei Mal hintereinander retten muss. Und der FCK hat außer Redondos erfolgreichem Abschluss anscheinend gar nichts zustande gebracht. Erstaunlich, dass Hansliks 16-Meter-Schuss nach ungefähr einer halben Schuss gar keinen Niederschlag findet. Die Schussposition zum Tor mutete eigentlich recht vielversprechend an.

xG-Plot FCS-FCK

Die Positions- und Passgrafik bestätigt Hikmet Ciftci als die Umschaltstation im Lautrer Spiel. Daniel Hanslik war anscheinend besser in die Partie, als viele glauben. Und nochmals Hut ab vor André Hainault, die kurzfristig eingesprungene Notlösung auf der rechten Verteidigerposition, er war sogar einen Tick passaktiver als sein Gegenüber Adam Hlousek.



xG-Passmap FCK



Zum Schluss die Positions- und Passgrafik der Saarbrücker. Geradezu monströs die Spots und Passbalken in den hinteren Reihen. Zu beachten sind aber auch die vielen Dreieckspfeile vorne. Da wird in der Offensive munter rochiert. Da muss man neidlos anerkennen: Wenn dieser Aufsteiger dieses Niveau und die etablierten Drittligateams nicht besser in Tritt kommen, ist der Durchmarsch in die Zweite Liga durchaus möglich.

xG-Passmap FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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- Neu auf DBB | Grafiken sagen nicht alles, aber viel: Die Taktikanalysen von den FCK-Spielen

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